Donnerstag, 18. September 2008

Nüchterne Trunkenheit - Einige Worte am Vorabend der Photokina

Fotografiert mit einer 2-Generationen-alten-350-€-Amateurkamera - sie war auch mal eine Nachricht wert - JPG direkt aus der Kamera …


Das fängt ja gut an - nüchterne Trunkenheit?

Wo wir doch beschwipst von Gerüchten, Gemunkel, von Fakes und News, ganz be"hype"t durch die Gegend taumeln?

Na ja, draußen dräut Frost, drinnen wärmt ein Feuer und der erste Grog, und vielleicht braucht es ja diesen Zustand einer "nüchteren Trunkenheit" um jetzt schon ein paar vorläufige Worte über die "Neuigkeiten" der Photokina zu verlieren.

Eigentlich ist der ahnungsvolle, gerüchteschwangere Zustand in den Wochen vor der Verkündigung doch die schönste Zeit.

Wenn dann der Vorhang aufgeht, wenn man dann weiß was Sache ist, wenn man dann die ihrer bunten Phantasiekleider entledigten Traumbilder unseres Verlangens leibhaftig und "nackt" vor sich sieht, tritt leider wieder Ernüchterung ein: a camera is a camera is a camera …

Und man stellt sich, angesichts all der herrlichen Geldanlagemöglichkeiten, vernünftigerweise vor dem Kauf doch noch ein paar Fragen:
  • wie oft musste ich mit ISO-Zahlen jenseits der 800 fotografieren?
  • wie oft hatte ich Probleme mit zu kleinen Dateien?
  • wie oft haben sich die KollegInnen aus den Fotoredaktionen über meine verrauschten Bilder beklagt?
  • und wann habe ich eine Videofunktion in meiner Spiegelreflexkamera wirklich vermisst?
Oder sollten wir uns nicht eher fragen: was hat mich denn bisher bei der Lösung meiner fotografischen Aufgaben behindert?

War es nicht eher so,
  • dass ich das schwarze Monstrum in meiner Hand am Abend unangenehm im Handgelenk spüre,
  • dass ich merke, wie angsteinflößend diese Riesenapparate für diejenigen sind, die ich fotografieren will,
  • dass ich mir oft einfachere und schlüssigere Einstellmöglichkeiten gewünscht habe, schnellere Reaktionszeiten, leisere, oder besser noch, keine Geräuschentwicklung beim Fotografieren etc. pp …
Wir sind in der Zwischenzeit kameratechnisch auf einem so hohen Level angekommen, dass sich die Auswirkungen von neuen Technologien auf die allgemeine Fotografie im Alltag kaum mehr nachweisen lassen.

Um so mehr braucht es die Kameratester, die Laboringenieure, die pixel-peeper, die uns anhand von Tabellen und Messwertprotokollen weismachen wollen, dass die neue Kamerageneration tatsächlich alles in den Schatten stellt, von dem wir bisher glaubten, damit gut fotografieren zu können.

Aber die neue Canonikon DX II wird uns nicht davor schützen, dass der Kollege mit seiner abgenudelten Kamera neben uns, am nächsten Morgen sein Bild in der Zeitung hat - vielleicht sogar, weil er schon lange nicht mehr in die Betriebsanleitung schauen muss, während ich nicht mehr weiß, wie ich die Live-View-Funktion wieder ausschalten kann, auf deren Einschaltknopf ich versehentlich gedrückt habe.

Wer eine neue Kamera braucht, soll sich eine kaufen.

Wer allerdings glaubt, dass er mit einer neuen Kamera endlich die Bilder machen kann, die er bisher nie gemacht hat, der sollte aufhören zu träumen.

Wie gesagt: eine Kamera ist eine Kamera ist eine Kamera.

Wer' s nicht glauben will, in ein paar Wochen sind wir alle doch wieder eines Besseren belehrt.

… und so sieht ein 100% Ausschnitt dieser Datei aus.
Natürlich geht es besser! Aber immerhin …


P.S.:
ich blättere gerade in einem "Marokko-Merian" von 1975.
Ein ruhiger Blick auf die Farb- und S/W-Fotos hat therapeutische Wirkung.
Gute Reisefotografie, aber an "heutigen" Maßstäben gemessen technisch ungenügend.
Ich würde sogar behaupten, kein Foto im Heft hat die technische Qualität meines banalen Fensterfotos.

Was soll uns das jetzt sagen …?

4 Kommentare:

  1. Mein lieber Martin,
    Du sprichst mir mit Deinen Worten wirklich aus der Seele. Ich hoffe nur, daß ich mich in naher Zukunft noch oft genug daran erinnern kann :-)
    Viele Grüsse +++ Klaus +++

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  2. Also, mal ganz nüchtern betrachtet sehe ich das auch so (bis auf die ISO-Zahlen). Ich bin sogar der Meinung, dass oft die inhaltliche Qualität des BILDES unter jeglicher digitaler Quantität leidet. Das Fotografieren an sich hat sich verändert.
    Was soll uns das jetzt sagen …?
    Back to Leica and Silver-Grain! ;-)

    Ein schönes Post - Prost!
    DET

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  3. Köstlich, weil richtig, zu lesen.
    Oder entsprechend Klaus Gruber:
    "Du sprichst mir aus der Seele, Martin!"

    Herzliche Grüße

    Klaus

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  4. Hallo martin,

    paar warme worte zur Fotokina und zur fotografie allgemein sind bei mir sehr gut angekommen. ich denke aehnlich und will mich auch nicht weiter dem Pixelwahn und des immer neuen hingeben. weiter so, kalsse blog. ich hab meinen heute erst eröffnet, schau mal vorbei ..
    Gruesse Michael

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