Nach dem
Blick über den Ozean wird es Zeit, unsere Aufmerksamkeit auch auf die Anfänge des modernen Fotojournalismus in Deutschland zu richten.
Das Entstehen einer Vielzahl von Massenillustrierten im Deutschland der 20er Jahre schuf eine ungeahnte Nachfrage nach Bildern, Bildgeschichten und Bildreportagen.
„In den Illustrierten sieht das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illustrierten hindern." kritisierte Siegfried Krakauer schon damals die aufkommende Bilderflut.
Bekannt und auflagenstark wegen ihrer Reportagen und mehrseitigen Bildstrecken in neuem, modernem Layout wurden:
- die Berliner Illustrirte
- die Leipziger Illustrirte (beiden verzichteten auf das “e”)
- die Münchner Illustrierte Presse (eine Nachahmumg der Berliner Illustrirten)
- die klassenkämpferische Arbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ)
- Die Kölner Illustrierte
- Hackbeil's Illustrierte
- Die Hamburger Illustrierte
- Die Stuttgarter Illustrierte
- Die Deutsche Illustrierte
- Das Illustrierte Blatt
- Die Republikanische Illustrierte
- aber auch der Illustrierte Beobachter, eine Zeitschrift der Nationalsozialisten
Schon allein diese unvollständige Aufzählung macht staunen.
Dazu kamen aber noch eine Vielzahl illustrierter Wochenendbeilagen, die mit Bildern bedient werden wollten.
Die Technik zur Umsetzung von Fotos in den Druck war mit dem fotomechanischen Reproduktionsverfahren, der Autotypie, bereits vorhanden.
Die Kameratechnik zog mit der Kleinbild-
Leica (1924) und der
Ermanox (12 Plattemagazin 4½x6) mit ihrem sensationell lichtstarken
Ernostar 1:2.0 (später 1:1.8!) nach und ermöglichte ungestellte Aufnahmen ohne “Feuerwerk”.
Jetzt brauchte es noch die Menschen, die in der Lage waren, die neuen Techniken kreativ und produktiv anzuwenden.
Wie aus dem Nichts entstand eine Riege von erstklassigen Self-Made-Fotoreportern - heute würde man sie als Quereinsteiger bezeichnen - deren Sicht- und Erzählweisen prägend für die moderne Fotografie wurden.
*Unvergessen sind:
Ihre Reportagen trugen Titel wie:
- Wassernot in Frankreich (E. P. Hahn)
- Nachts auf dem Nürburgring (Man)
- Araber gegen Juden - das Problem Palästinas (Tim Gidal)
- Not im Hamburger Hafen (Neudin)
- In Goethes Haus (Hübschmann)
- Die Junggesellin von heute (Man)
- Leihhaus (Wolfgang Weber)
- Adoptionsstelle (Umbo)
Dazu kamen natürlich Auslandsreportagen z. B. von
Bosshard oder
Man's unvergessliches “Photointerview” mit
Mussolini.
Dann kam das Jahr 1933.
Und mit ihm der von den Nazis erzwungene Niedergang des deutschen Fotojournlismus.
Dieser Bruch einer großartigen Entwicklung, dieses Erdbeben, zog vieles, vielleicht alles, was im Kunst- und Kulturland Deutschland geschaffen war, in einen braunen Abgrund.
Das Fehlen einer Kontinuität - auch in der Fotografie - ist bis heute zu spüren.
Eine Konsequenz dieser fürchterlichen Entwicklung war die Emigration vieler Fotografen und Verleger.
So entstand die zweite Generation von Fotoreportern im Ausland.
Capa,
Chim,
Cartier-Bresson,
Bischof,
Lange,
Mydans, um nur einige Namen zu nennen, prägten zukünftig das Gesicht der Fotoreportage und ihrer visuellen Gestaltung bis weit in die 70er Jahre hinein und sind uns in vielem Vorbilder geworden.
Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Herrschaft, kehrte unter der "Schirmherrschaft" der Allierten die Tradition des Fotojournalismus wieder nach Deutschland zurück.
Die Zeitschriftengestaltung begann in Europa 1947 wieder da, wo die Deutschen Anfang der 30er Jahre aufgehört hatten.
Trotz allem, der Ursprung des modernen Fotojournalismus, der modernen Massenkommunikation hat seine Wurzeln - auch - im Deutschland der Weimarer Republik.
Darauf könne wir doch ein bisschen stolz sein?
*Für die oben genannten Fotoreporter wird es in der nächsten Zeit immer wieder einen Platz im Blog geben.